Unerhörter Club, überdrehte Gesellschaft
Rund 50 Jahre ist er alt, der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit unter dem Titel "Die Grenzen des Wachstums". Was seinerzeit als deutliche Warnung vorm Weitermachen hätte verstanden werden müssen, ist schlicht ignoriert worden - mit unfassbaren Folgen für uns alle. Zwischenzeitlich sind wir mehr geworden: Acht Milliarden Menschen bevölkern die Erde. Damals, bei Erscheinen des Club-Berichts waren wir knapp die Hälfte (1973: 3.924.668 Menschen, Quelle: UN Population Database).
Acht Milliarden Menschen stehen morgens auf, Tag für Tag. Den einen geht es dabei ums nackte Überleben, den anderen ums heile Dadurchkommen und dem privilegierten Rest ums wohlständige Leben. Drei Bevölkerungsgruppen, drei Probleme: Der Hunger ist nicht in den Griff zu kriegen, die Schere zwischen Armen und Reichen geht immer weiter auf - und auch die Wohlstandshungrigen sind einfach nicht satt zu kriegen. Die Feststellung, dass wir einfach zu viele auf dieser Erde sind, kann man aus rhetorischen Gründen treffen. Praktisch hilft sie nicht weiter, weil die Probleme des Planeten viel mehr Drive haben, als der Verzicht auf Fortpflanzung und/oder der natürliche Lebenszyklus Zeitreserven bringen könnten.
Kann Qualität vor Quantität gehen?
Wir haben ein Wohlstandsproblem: Sollten alle Menschen auf der Erde so leben können, wie die sogenannte "zivilisierte Welt": wir bräuchten 2,5 Planeten vom Format Erde. Und wir haben ein Ethikproblem: Wohlständige fragen sich nicht: Wie groß darf das Stück Kuchen sein, das ich mir nehme? Sie wollen wissen, wie viel Kuchen auf Biegen und brechen zu kriegen ist. Und sie suchen nach Wegen, den meisten für sich zu ergattern.
Die Grenzen des Wachstums sind längst überschritten. Wir folgen dem falschen Wachstumsbegriff, dem des quantitativen Wachstums. Dabei wissen wir, dass es von nichts grenzenlos viel gibt - auch nicht vom eigenen Leben. Wie sollte das auch gehen, wo alles, aber auch wirklich alles auf dieser Welt zeitliche und/oder räumliche Grenzen hat. Und wir glauben immer noch, die Regeln des Kosmos außer Kraft setzen zu können, ohne zu merken, dass wir uns außer Kraft setzen.
Eine Fantasie ist, künftig auf ein qualitatives Wachstum setzen. Es darf nicht länger hip sein, immer mehr haben zu wollen, immer das Neueste, koste es, was es wolle (womit nicht nur Geld gemeint ist). Es kann nicht mehr lange gutgehen, dass wir jeder marketinggetriebenen Bedürfniserweckung erliegen. Hip muss werden, dass Dinge lange halten und funktionieren, dass sie im wahren Wortsinn nachhaltig sind und dass wir bewusst das konsumieren, was wir fürs Leben brauchen. Und es muss wichtig werden, dass wir unseren Wohlstand nicht auf dem Rücken anderer leben.
Was wäre falsch daran, weniger Klamotten zu kaufen, dafür aber auf Fertigungen unter widrigen Umständen zu verzichten? Was wäre blöd daran, auf einen Konsum der kurzen Wege zu setzen, anstatt 60.000 Transportkilometer aufzuwenden, bis eine Jeans ausproduziert im Laden liegt (Quelle: Deka Bank)?
Und was wäre falsch daran, unserem Konsum einen Wert und nicht nur einen Preis zu geben?
Globalisierung? Ja. Aber nicht des Preises wegen
Vollkommen enthemmt produzieren wir wo auch immer auf dieser Welt - zu jedem denkbaren Preis, mit unglaublichem logistischen Aufwand und oftmals immer noch unter unfassbaren Arbeitsbedingungen.
Der Präsident einer großen IHK argumentiert erfreulicherweise, dass Globalisierung keinen Sinn macht, um in der Preiskalkulation noch etwas herauszupressen. Globalisierung mache nur Sinn, wenn man dadurch Know how teile. Aber diese Auffassung ist bisweilen nicht mehrheitsfähig.
Kein Erkenntnisproblem
Zu den aktuellen und den kommenden Problemen haben alle (fast) alles gehört. Trotzdem bleiben wir träge: Wir haben ein Problem mit der eigenen Ignoranz. Und wir sind nicht fähig zur Neuerfindung. Die müsste von nicht weniger als der Weltgemeinschaft getragen und gelebt werden. Schnell wird erkennbar: Nicht jede Fantasie hat das Zeug zur Realität. Realistisch ist wohl, dass wir es immer weiter auf die Spitze treiben - unguter Ausgang inklusive. Es sei denn, wir beugen uns auf den letzten Metern dem massiv spürbaren Handlungsdruck. Die Hoffnung schließlich macht die Grätsche erst ganz am Ende.
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J. Golda (Sonntag, 08 Januar 2023 23:07)
Interessante Gedanken.
Ich würde aktuell sagen:
Wachstum und gleichwachsende Forderungen an Gerechtigkeit lässt sich wohl nicht vereinbaren. Wachstumvorgaben decken sich nicht mit Vorgaben der sozialen Gerechtigkeit.
Ist Wachstum das Problem oder der ethische Umgang damit?
Hans-Hermann Strandt (Donnerstag, 12 Januar 2023 11:22)
„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an sie zu verändern“ (Karl Marx)
Und er hat in diesem Punkt nach wie vor Recht.
Aber genau da wird es diffizil. Denn Veränderung bedeutet immer auch Verzicht auf Seiten derjenigen, die Profiteure der herrschenden Verhältnisse sind. Und das erfolgt in der Regel nicht aufgrund intellektueller Einsicht. Auf allen Gebieten. Leider.